In den letzten Jahren verordnen immer weniger Kinderärzte eine Sprachtherapie für 2 bis 6 jährige Kinder. „Abwarten, das wächst sich noch aus.“ oder „Der Kleine ist nur ein bisschen sprechfaul.“. Dies sind Äußerungen, die viele Eltern von Kindern mit einer Sprachentwicklungsverzögerung, sogenannte „Late Talker“, bei den Früherkennungsuntersuchungen hören.
Studien belegen seit Jahren, dass 20% dieser Altersgruppe mit guten sozialem Hintergrund und deutscher Muttersprache eine Behandlung benötigen. Kinder mit einem Migrationshintergrund haben zu 50% einen Bedarf an Sprachtherapie und Kinder mit psycho-sozialer Benachteiligung brauchen zu 90% sprachtherapeutische Hilfen.
Die sogenannten „Delfin-Tests“, die dies jedes Jahr offen legten, wurden abgeschafft. Langzeitstudien der Fresenius Hochschule Idstein und Forschungen von Hannelore Grimm belegen diese Zahlen seit mehr als 15 Jahren.
Weniger Sprachtherapie für Kinder – Nur Propaganda oder doch realer Fakt?
Weniger Sprach-
therapie für Kinder – Nur Propaganda oder doch realer Fakt?
Wie man mithilfe der Heilmittelberichte des Wissenschaftlichen Instituts der AOK ermitteln kann, gingen in den letzten 4 Jahren die sprachtherapeutischen Leistungen für 2- bis 6-jährige AOK-versicherte Kinder um bis zu 36% zurück.
Wie der VDLS (Verband deutscher Logopäden und Sprachtherapeuten) errechnet hat (siehe folgende Hochrechnung), wurden in den letzten 4 Jahren innerhalb aller GKV-Kassen fast genau 800 Millionen Euro weniger in die Therapie frühkindlicher bzw. kindlicher Sprachstörungen investiert.
In meinen Augen ein Schlag ins Gesicht der Eltern, die verzweifelt nach einem Therapieplatz für ihr Kind suchen, da der Schularzt bei der schulärtzlichen Untersuchung die Schulfähigkeit ihres Kindes im Bereich Sprache in Frage stellt.
Was sind die Gründe für den Rückgang?
Laut VDLS gibt es zu diesen Entwicklungen folgende Erklärungen:
„Seit einigen Jahren stellen „selbsternannte Sprachexpertinnen“ die Bedeutsamkeit der frühen Sprachtherapie in Frage. Sie richten sich in Vorträgen und Seminaren an Kinderärzte und verharmlosen selbst essentielle Sprachentwicklungsstörungen.
Da werden diese zu kleinen „Schönheitsfehler“ degradiert, die eine liebenswerte und kindliche Besonderheit darstellen. Durch Krankenkassen finanziert, werden Studien erstellt, die die aktuellen, wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse in Frage stellen. So wandern Diagramme durch die Arztpraxen, die vermitteln, dass ein tatenloses Abwarten oft besser sei als eine sofortige Therapie.
Kinderärzte stehen ohnehin schon unter einem stetig steigenden Kostendruck seitens der Krankenkassen. Da ist es nicht verwunderlich, dass viele ein offenes Ohr für solche Botschaften haben.“
Was bedeutet der Rückgang von Sprachtherapie für Kinder mit Sprachentwicklungsschwierigkeiten?
Was bedeutet der Rückgang von Sprachtherapie für Kinder mit Sprachentwicklungs-schwierigkeiten?
In erster Linie vertrauen Eltern darauf, dass der Kinderarzt sie mit all seinen Möglichkeiten unterstützt, damit ihr Kind sich sprachlich optimal entwickelt. Sie verlassen sich darauf, dass der Kinderarzt Schwierigkeiten in der gesunden Sprachentwicklung ihrer Kinder erkennt. Sie sind sich sicher, dass er sie darüber entsprechend informiert und weiterführende Maßnahmen ergreift, um die Ursachen dafür zu ermitteln.
Zudem sehen Eltern es als selbstverständlich an, dass der Kinderarzt im Falle behandlungsbedürftiger Sprachstörungen sofortige Sprachtherapie verordnet.
Dies ist besonders in den letzten Jahren immer weniger der Fall. Mit Besorgnis habe ich die Veränderung in meiner praktischen Arbeit beobachtet. Es fielen immer mehr Kinder durch erhebliche Sprachentwicklungsverzögerungen und Sprachentwicklungsstörungen auf, deren Eltern mich hilfesuchend um Rat fragten.
Wo früher in einer Gruppe von 25 Kindern ein bis zwei Kinder Sprachauffälligkeiten zeigten, sind es heute locker acht bis zehn Kinder. Die Verzweiflung der Eltern ist oft sehr groß. Es dauert häufig viele Monate und auch länger, bis ihre Sorgen ernst und erste differenzierte Untersuchungen in Angriff genommen werden.
Bis erste Maßnahmen greifen, hat sich in vielen Fällen aus einer Sprachentwicklungsverzögerung eine Sprachentwicklungsstörung entwickelt (siehe Grafik). Diese bedarf dann auf jeden Fall einer therapeutischen Behandlung. Die Sprache wird nicht mit natürlicher Leichtigkeit erworben, sondern mühsam und langwierig erarbeitet, da die sprachsensible Phase nicht genutzt wird.
Was können Eltern von Kindern mit Sprachentwicklungsschwierigkeiten tun?
Was können Eltern von Kindern mit Sprachentwicklungs-schwierigkeiten tun?
Eltern sind Sprachrohr und Unterstützer ihrer Kinder. Sie helfen ihnen bedingungslos bei der Durchsetzung ihres Anspruchs auf eine gesunde Sprachentwicklung.
Zum einen ist es wichtig, dass sie an den entsprechenden Stellen (Kinderarzt, HNO-Arzt, Krankenkassen, etc…) mit Nachdruck auf das Recht ihres Kindes pochen, damit nötige Untersuchungsmaßnahmen und Sprachtherapien durchgeführt werden.
Des Weiteren können Eltern ihr Kind zusätzlich im familiären Alltag in der Sprachentwicklung unterstützen.
Die alltägliche familiäre Kommunikation hat einen erheblichen Einfluss auf die Sprachentwicklung der Kinder. Besonders auf die Sprachentwicklung der Kinder, die von einer Sprachentwicklungsverzögerung betroffen sind oder bei denen eine Sprachentwicklungsstörung vorliegt.
Ein bewusst sprachförderliches Verhalten im familiären Alltag hat eine absolut positive Wirkung auf die Sprachentwicklung der Kinder.
Die bedeutende sprachsensible Entwicklungsphase wird optimal genutzt, ohne wesentliche Zeit verstreichen zu lassen. Dies erhöht enorm die Prognose, dass das Kind seine Sprachkompetenz bestmöglich entwickelt.
Dadurch wird Sprachtherapie eventuell vermindert oder gar nicht mehr notwendig. Bei dem Kind, das logopädische Therapie benötigt, wird die Wirkung der logopädischen Maßnahmen enorm unterstützt und verstärkt!
Eltern sind einfach die wichtigsten Bezugspersonen und Kommunikationspartner des Kindes. Aus diesen Gründen sind sie ein wesentlicher Bestandteil zur Unterstützung der kindlichen Sprachentwicklung.